Am nächsten Tag wundere ich mich, dass ich um 5 Uhr ganz alleine beim Frühstück sitze, aber umso besser, dann kann ich gemütlich aufbrechen und habe keinen Stress. Der Sonnenaufgang ist herrlich und ich komme relativ gut voran, erreiche am Gleiwitzer Höhenweg auch bald die unter Jägerscharte. Bei der oberen Jägerscharte treffe ich auf zwei Tschechen (?), die dort offensichtlich biwakiert haben, und nun gerade mit dem Frühstück beschäftigt sind. Beim weiteren Anstieg erreiche ich bald den Kempsenkopf, angeblich der nördlichste 3000er in den Alpen und somit in ganz Europa. Ob es sich dabei wirklich um einen eigenständigen Gipfel handelt, ist wohl umstritten, weil er von der nächsten Erhebung, dem Bauernbrachkopf nur durch eine unwesentliche Scharte getrennt ist.
Ab diesem Gipfel sind es zwar nicht mehr viele Höhenmeter, aber der Weg bis zu den bereits sichtbaren Gipfel zieht sich noch. Die immer wieder eingerichteten Seilversicherungen entschärfen die eine oder andere Kletterstelle, sind aber nicht wirklich nötig, an manchen Stellen sogar überflüssig. Ab dem kleinen Tenn führt eine überaus harte Schneeflanke hinauf zum Schneegipfel. Mit Steigeisen und Pickel ist der Aufstieg sehr entspannt, und nach etwa drei Stunden erreiche ich den Schneegipfel. Sofort mache ich mich auf den Weiterweg über den schmalen Grat hinüber zum Berggipfel. Nur ein kleines, provisorisches Holzkreuz ziert den Gipfel, dahinter setzt sich der teilweise ausgesetzte Grat fort bis zum kleinen Wiesbachhorn. Die Nordwand des großen Wiesbachhorns präsentiert sich an diesem Tag in einem halbwegs guten Zustand, obwohl ihre besten Tage schon lange Geschichte sind. Nach einer kurzen Pause mit so vielen traumhaften Ausblicken auf die Gipfel der Glocknergruppe mache ich mich an den Abstieg. Kurz vor dem kleinen Tenn kommen mir die beiden Tschechen entgegen, und als ich gerade die Steigeisen und den Pickel einpacke, erkundigen sie sich bei mir, ob der Aufstieg über die harte Schneeflanke ohne entsprechende Ausrüstung machbar ist. Machbar ist vieles, und ich habe etwas Zweifel, rate ihnen vorsichtig zu sein, und meinen Spuren zu folgen. Die Sonne steht schon viel höher, und der Schnee beginnt sichtlich aufzufirnen, also sollte es für die beiden wenig Probleme geben. Sie bedanken sich und steigen langsam in meinen Spuren nach oben. Ich beobachte Sie noch ein wenig, habe aber gutes Gefühl was ihren Weiterweg angeht. Im Abstieg kommen mir schließlich weitere Bergsteiger entgegen, die sich bezüglich der Verhältnisse erkundigen. Zumindest haben alle einen Pickel dabei, also haben sie wohl keine Schwierigkeiten beim Schlussanstieg. Beim Biwakplatz der beiden Tschechen liegt vor einem Felsen ein Pickel und ein kleiner Reserverucksack… Nachdem noch nicht einmal Mittag ist, mache ich bei der oberen Jägerscharte einen kleinen Abstecher über einen flachen Grat in Richtung Norden zum Krapfbrachkopf. Von dort sieht es so aus, dass man oberhalb des Gleiwitzer Höhenwegs bis zum Rettenzink kommt. Nach wenigen Metern eröffnen sich aber tiefere Gräben aus sichtlich brüchigen Gestein. Für Experimente in einem Bruchaufen fehlt mir heute die Motivation, darum wandere ich bis zur Scharte zurück, und folge dann wieder dem Gleiwitzer Höhenweg bis zur Hütte. Vor der Hütte setze ich mich für eine längere Pause in die Sonne und genieße die herrliche Ruhe hier oben. Nun steht mir noch ein langer Abstieg bis zum Parkplatz bevor, aber die geniale Bergtour an diesem Tag macht jeden Schritt sehr erträglich.
„Der schönsten Höhenweg in den Alpen“, meinte zumindest Reinhold Messner. Ob es der „schönste“ ist sei dahingestellt, ein super Anstieg auf zwei aussichtsreiche Gipfel in der Glocknergruppe ist er ganz bestimmt.
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